Praxisforum I Aufsuchende politische Bildung im Quartier

Akteure der sozialen Quartiersentwicklung und Bedeutung von politischer Bildung

Im ersten Praxisforum Aufsuchende politische Bildung im Quartier des Projekts PartQ wird zum einen die Rolle der verschiedenen Akteure in der sozialen Quartiersentwicklung und zum anderen die Bedeutung und die Wirksamkeit von aufsuchender politischer Bildung im Quartier diskutiert.

Quartierspartnerschaft in Braunschweig – Ein Erfolgsmodell?

Input: Gregor Kaluza, Baugenossenschaft >Wiederaufbau< und Stadtteilentwicklung Weststadt e.V.

Im ersten Programmpunkt stellt Gregor Kaluza die besondere Kooperation von drei Wohnungsunternehmen bzw. -genossenschaften mit der Stadt Braunschweig vor. Diese vier Akteure gründeten bereits im Jahr 2008 gemeinsam den Verein Stadtteilentwicklung Weststadt, welcher mit derzeit sieben Mitarbeiter*innen in zwei Quartierstreffs und einem Nachbarschaftszentrum daran arbeitet, die Braunschweiger Weststadt zu einem „modernen, lebenswerten und lebendigen Stadtteil der Zukunft“ zu machen.

Die Weststadt ist mit 24.000 Bewohner*innen der einwohnerstärkste Bezirk der zweitgrößten niedersächsischen Stadt Braunschweig und hatte in ihrer Vergangenheit mit starken sozioökonomischen und demografischen Herausforderungen sowie einer überwiegend negativen medialen Berichterstattung zu kämpfen. Herr Kaluza berichtet aber, dass viele der Herausforderungen in den letzten 15 Jahren zum Positiven gewendet werden konnten. Heute gibt es in der Weststadt nahezu keinen Leerstand mehr, im Zusammenhang mit Förderungen durch das Programm Stadtumbau West wurden das Wohnumfeld und die Wohnqualität maßgeblich verbessert.

Für die Akquirierung von Fördermitteln im Rahmen solcher Förderprogramme hat sich das Kooperationsmodell des Vereins als besonders wichtig herausgestellt, so Herr Kaluza. Zudem sei die Kooperation mit politischen Entscheidungsträgern entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit.

Der Verein ist in verschiedenen Handlungsfeldern aktiv, u.a. dem Betrieb der Nachbarschaftstreffpunkte mit diversen Angeboten für verschiedenste Zielgruppen, der Imageverbesserung, der Vernetzung im Stadtteil und darüber hinaus sowie der Beteiligung von Bewohner*innen. An die eigene Arbeit anschließend hat sich der Verein entschieden, mit Minor im Projekt PartQ zu kooperieren und die Entwicklung von Angeboten der aufsuchenden politischen Bildung im Quartier selbst voranzutreiben und zu unterstützen.

Aus Sicht der beteiligten Wohnungsunternehmen und der Stadt Braunschweig sind die Förderung gesellschaftlicher und politischer Teilhabe, Demokratieförderung und die aktive Mitwirkung von Bewohner*innen bei der Gestaltung des eigenen Stadtteils maßgeblich, um das Zusammenleben zu verbessern, Zusammenhalt zu stärken und die Attraktivität der Weststadt zu erhöhen.

In der anschließenden Fragerunde und Diskussion steht die Frage nach der Rolle von Akteuren der Wohnungswirtschaft im Zentrum. Herr Kaluza erläutert, dass die Wohnungswirtschaft insbesondere dann unterstützend in der Quartiersarbeit tätig sein kann, wenn eine enge Kooperation mit der Stadt beziehungsweise der Kommune besteht. Eine solche Kooperation befördert die strategische Planung und bündelt die Ressourcen für eine gute Quartiersentwicklung.

Weiterhin werden die Beteiligung und das Engagement der Bewohner*innen thematisiert. Herr Kaluza schildert wie beispielsweise bei einer Umbenennung der verschiedenen Viertel in der Braunschweiger Weststadt viele Bewohner*innen direkt beteiligt werden konnten. Trotzdem sei es nicht einfach Bewohner*innen langfristig zu aktivieren. Gleichzeitig wird betont, dass es ein langer Prozess ist, eine solche Kooperation aufzubauen.

Der Verein Stadtteilentwicklung Weststadt ist stetig gewachsen und hat seine Aktivitäten ausgebaut. Dabei werden bestimmte kulturelle und soziale Aktivitäten und Veranstaltungen, u.a. in den Nachbarschaftstreffpunkten, auf die Beine gestellt, die einen maßgeblichen Teil des kulturellen Lebens in der Weststadt ausmachen und ein Stück weit einen Mangel an anderen Angeboten und Begegnungsräumen ersetzen. Politische Bildung ist dabei zunächst kein Schwerpunkt. Es besteht aber grundlegender Bedarf, der jetzt durch eine Beteiligung in PartQ angegangen werden soll.

Die Demokratiewerkstätten in Nordrhein-Westfalen – am Beispiel Düsseldorf Oberbilk

Input: Anna Ziener, Arbeit und Leben DGB/VHS Nordrhein-Westfalen e.V.

Im zweiten großen Programmpunkt des Praxisforums berichtet Anna Ziener von Ihrer Arbeit in der Demokratiewerkstatt Oberbilk. Oberbilk ist ein zentral gelegener Stadtteil in Düsseldorf. Nach den Silvester-Ereignissen in Köln 2015/2016 haben die negativen Medienberichte auch über Oberbilk stark zugenommen, was das Team von Arbeit und Leben dazu bewogen hat, dort aktiv zu werden.

Ihrer Ansicht zufolge spiegelte die Außenwahrnehmung das reale Leben in Oberbilk nicht wieder. Das vielfältige migrantische Leben, das in der Außensicht oft als bedrohlich und negativ wahrgenommen sowie dargestellt wird, wird von den Bewohner*innen selbst als positiv und bereichernd beschrieben. Dies ist eine zentrale Erkenntnis, die sie während einer von vielen Aktionen im öffentlichen Raum, die sie mir ihrer Demokratiewerkstatt durchgeführt hat, gewinnen konnte.

Es gibt in Nordrhein-Westfalen mehrere von diesen Demokratiewerkstätten, die ein Zeichen von einem Paradigmenwechsel in der politischen Bildung sind. Getragen von der Landeszentrale für politische Bildung NRW und Arbeit und Leben DGB/VHS NRW e.V. sind es Projekte, die mit aufsuchender politischer Bildung das Zusammenleben und die Mitbestimmung in benachteiligten Quartieren verbessern möchten. Folgende Fragen sind Beispiele für Leitfragen der Arbeit der Demokratiewerkstätten:

  • Wie gelingt das zivilisierte Zusammenleben von Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise fremd sind?
  • Welche Gelingensbedingungen benötigt ein „Zusammenleben in indifferenter Toleranz“, wie Frau Ziener es selbst beschreibt?
  • Welche Aushandlungsprozesse laufen in multikulturellen urbanen Räumen ab?
  • Wie können diese genutzt werden, um politische Teilhabe zu ermöglichen und zu verstärken?

Das übergeordnete Ziel der Demokratiewerkstätten ist es, die Menschen im Quartier zu befähigen, als aktive Zivilgesellschaft eigenständig Interessen zu formulieren und deren Umsetzung verfolgen zu können. Dazu werden Problemlagen und Bedarfe ermittelt, Bürger*innen bei der Verfolgung ihrer Interessen unterstützt und Beteiligungsformate etabliert. Dies soll zu einer erhöhten Attraktivität und Sichtbarkeit des Stadtteils führen. Ein Beispiel eines solchen Formates sind die Stadtteilguides, die besondere und sehr persönliche Stadtrundgänge durch Oberbilk anbieten und dabei ein für viele eher unbekanntes Bild von Oberbilk zeigen. Die Guides sind Bewohner*innen des Quartiers, die ihre Sicht auf das Quartier mit Interessierten teilen möchten.

Die Wirksamkeit von politischen Bildungsprojekten zu messen ist oft schwierig. Dass die Demokratiewerkstatt einen positiven Effekt innerhalb des Stadtteils Oberbilk und darüber hinaus hat, lässt sich aber nicht bloß an dem guten Feedback der Bewohner*innen ablesen, sondern auch an positiven Medienberichten, die zwar die negativen nicht gänzlich abgelöst haben, aber die zumindest nun zusätzlich existieren und das Quartier authentisch zeigen.

In der anschließenden Diskussion werden neben konkreten Nachfragen zu Aktivitäten in Oberbilk auch über allgemeine Fragen zu den Demokratiewerkstätten gesprochen. Ein interessantes Thema, das auch viele andere soziale Akteure im Stadtteil beschäftigt ist die Kooperation mit der Kommunalpolitik. Inwiefern diese im Stadtteil aktiv ist, hängt stark vom persönlichen Engagement der Politiker*innen ab. Ein weiteres Thema, das für PartQ besonders wichtig ist, stellt die Kooperation mit Wohnungsunternehmen dar. In Oberbilk wird mit Wohnungsunternehmen nicht kooperiert, da sie als Akteure in der sozialen Quartiersentwicklung nicht präsent sind.

Datum:

09.11.2021

Kontakt:

Maëlle Dubois
m.dubois@minor-wissenschaft.de

Präsentation: Gregor Kaluza – „Stadtteilentwicklung Weststadt e.V.“

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Präsentation: Anna Ziener – „Reframing Oberbilk“

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Die Praxisforen finden im Rahmen des Projektes PartQ – Aufsuchende politische Bildung im Quartier statt.

Das Projekt wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.