Potenziale und Formate der aufsuchenden politischen Bildung im Quartier
Partizipation im Quartier stärken
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen wie die Zunahme sozialer Segregation, der demografische Wandel, Migration sowie die regional ungleiche wirtschaftliche Entwicklung haben in Quartieren in deutschen Städten besonders starke Auswirkungen und beeinflussen das lokale Zusammenleben. Die Studie „Herausforderung: Zusammenleben im Quartier“ im Auftrag des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen zeigt auf, dass das Zusammenleben und das nachbarschaftliche Miteinander in vielen Quartieren durch diese Entwicklungen belastet wird. Das nachbarschaftliche Miteinander ist durch Verstöße gegen die Hausordnung, verbale Auseinandersetzungen, Ruhestörungen und interkulturelle Konflikte angespannt. Dabei ist auch eine Ethnisierung von sozialen Problemen zu beobachten: Armutsproblematiken werden auf (bestimmte) Zuwanderungsgruppen bezogen. Erfahrungen aus dem Projekt Konflikt<>Quartier<>Zusammenleben bestätigen, dass sich die Bedingungen für das Entstehen von Polarisierung und Radikalisierung verändern. Die Zunahme an Diversität in den Bevölkerungen der Quartiere führt zu Konfrontationen verschiedener Sprachen und Lebensstile und macht neue Aushandlungen lokaler Regeln nötig. Gleichzeitig steigt das Misstrauen gegenüber Politiker*innen und Behörden.
Mit dem Modellprojekt PartQ soll an diesen Herausforderungen ansetzend die Entwicklung und Umsetzung von Ansätzen der aufsuchenden politischen Bildung in Modellquartieren in verschiedenen deutschen Städten gefördert, begleitet und evaluiert werden (siehe Präsentation zur Projektvorstellung). Die aufsuchende politische Bildung soll Menschen Zugang zu politischen Bildungsangeboten ermöglichen, die bislang gar nicht oder in geringem Maß an solchen Angeboten teilnehmen.
Projektvorstellung:
Multiperspektivische Reflexionen aus der Praxis im Quartier
Im Rahmen der Auftaktveranstaltung des Projekts kommen verschiedene Perspektiven auf aufsuchende politische Bildung im Quartier in Austausch, die für den Ansatz relevant sind. So sind Teilnehmer*innen aus den Bereichen politische Bildung, Sozialarbeit, Gemeinwesenarbeit, Quartiersmanagement, Wohnungswirtschaft sowie der Kommunalverwaltung vertreten.
Die Teilnehmenden aus den verschiedensten Ecken Deutschlands sehen sich mit vielen, teilweise ähnlichen Herausforderungen konfrontiert: eine Abnahme traditionellen ehrenamtlichen Engagements und gemeinschaftlicher Aktivitäten, eine soziale Trennung und mangelnder Austausch verschiedener Bevölkerungsgruppen, Schließung von Treffpunkten und zunehmender Mangel an Begegnungsräumen. Im Fokus der Diskussionen liegt also die Frage, wie Teilhabestrukturen, Verständigung, Zusammenhalt und Solidarität im Quartier gestärkt werden können.
In einem Gespräch mit Astrid Jonkmanns, Quartiersmanagerin des kommunalen Wohnungsunternehmens GEBAG aus Duisburg und Lars Meyer von DIE WERKSTATT wird deutlich, dass all diese Perspektiven, Erfahrungen und Kompetenzen für erfolgreiche aufsuchende politische Bildung notwendig sind: Quartiersmanagements und Wohnungsunternehmen schaffen Räume der Begegnung wie beispielsweise Kindercafés oder kostenfreie Vereinsräume, die als niedrigschwellige Beteiligungsangebote eine gemeinsame Grundlage zur Entwicklung von übergreifenden, gemeinschaftlichen Dialogforen im Quartier schaffen können. Die politische Bildung hat wiederum die Rolle, mit einer offenen und fragenden Haltung verschiedene Prozesse anzustoßen und zu begleiten, die Motivationen der einzelnen Teilnehmenden zu erarbeiten und in gemeinsames Handeln zu übersetzen. Im Mittelpunkt steht die Beteiligung möglichst aller, diverser Bewohner*innen sowie die demokratische Gestaltung des Prozesses.
Einigkeit besteht darüber, dass aufsuchende politische Bildung einen begleitenden, stärkenden Charakter im Stadtteil einnehmen kann und quer zu bestehenden Strukturen einen längerfristigen, inklusiven und offenen Prozess zum Ziel hat. Für das Modellprojekt PartQ werden folgende Ziele fokussiert:
- Stärkung demokratischer Strukturen für Teilhabe und politisches Engagement auf lokaler Ebene
- Anstoßen und moderierende Begleitung lokaler Aushandlungsprozesse
- Brückenbildung zwischen Bewohner*innen und politischen Entscheidungsträger*innen
In vier Arbeitsgruppen werden unterschiedliche Aspekte der Quartiersarbeit vertieft, die für die Entwicklung von Ansätzen der aufsuchenden politischen Bildung eine wichtige Rolle spielen.
Arbeitsgruppe 1 – Quartiersgemeinschaften im Wandel
Gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und ihre Ausprägungen in den Quartieren schaffen neue Erfordernisse in der Quartiersarbeit. Die Teilnehmenden der Gruppe beschreiben für den Großteil der Quartiere eine Verringerung gemeinschaftlicher Aktivitäten, weniger Austausch und einen Anstieg an Konflikten. Regeln des Zusammenlebens müssen teilweise neu ausgehandelt werden. Die aufsuchende politische Bildung verfügt über methodische Kompetenzen und eine demokratische Haltung, um Konflikte als Anlass zu begreifen, Aushandlungsprozesse zu begleiten und alle vorhandenen Perspektiven in einen demokratisch geführten Dialog zu bringen. In anderen Quartieren wiederum findet eine „Verbürgerlichung“ statt, die mit einer Stabilisierung und mit Verdrängungsgefahren einhergeht. Hier bestehen andere Herausforderungen. Dementsprechend ist es wichtig, flexibel und bedarfsorientiert an den örtlichen Gegebenheiten anzusetzen.
Arbeitsgruppe 2 – Beteiligte der Quartiersgestaltung
Der Begriff Quartiersgestaltung ist so vielfältig, wie es Akteure im Quartier gibt. Während bei manchen Teilnehmenden Ergebnisse wie die Verbesserung von Lebensverhältnissen im Fokus stehen, heben andere eher Prozesse wie die Aushandlung verschiedener Interessen hervor. Wer das Quartier gestaltet, ist auch wieder eine Frage der Perspektive. Von den Teilnehmenden werden die Kommunalpolitik, Sozialträger, Stadtteileinrichtungen, Vermieter*innen, Arbeitgeber und Bildungseinrichtungen genannt. Knackpunkt ist dabei, inwiefern Bewohner*innen an der Quartiersgestaltung beteiligt sind. Zwar wird angemerkt, dass alle Menschen, die sich in einem Quartier bewegen, es zwangsläufig mitgestalten. Jedoch engagieren sich oft vor allem diejenigen, die es gewohnt sind, ihre Interessen zu formulieren. Deswegen wird die Kernherausforderung darin gesehen, alle Bewohner*innen stärker in die aktive Mitgestaltung einzubeziehen. Dafür werden die Schaffung gemeinsamer öffentlicher oder halböffentlicher Begegnungsorte, Vernetzung sowie konkrete und gut durchgeführte Beteiligungsvorhaben als wichtigste Ansätze gesehen.
Arbeitsgruppe 3 – Partizipationsmöglichkeiten im Quartier
Die Teilnehmenden der Arbeitsgruppe sind sich einig: Partizipation zielt auf das Gemeinsame und das Miteinander ab. Als Beispiele für bestehende Partizipationsmöglichkeiten in den bekannten Quartieren, erwähnen die Teilnehmenden zunächst vorhandene Gremien (Runder Tisch, Quartiersrunde usw.) sowie etablierte Begegnungsorte. Mit einem breiteren Blick werden jedoch alternative und niedrigschwellige Partizipationsmöglichkeiten genannt. Hierunter fallen die Arbeit in Community-Vereinen oder religiösen Gemeinschaften ebenso wie spielerische oder kreative Formen, wie z. B. ein Erzählsalon oder ein Fotowettbewerb. Wichtig dabei ist, Partizipationsmöglichkeiten ganzheitlich zu betrachten und ein Gleichgewicht zwischen formalen und alternativen Partizipationsmöglichkeit zu erreichen.
Arbeitsgruppe 4 – Digitale Nachbarschaften
Die Formen digitaler Nachbarschaften sind vielfältig vorhanden und werden von verschiedenen Bevölkerungsgruppen für verschiedenen Zwecke genutzt. Einen großen Stellenwert nehmen entsprechende Kanäle und Gruppen auf Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram und Whatsapp ein. Aber auch digitale Tools wie Mieter-Apps von Wohnungsunternehmen oder nachbarschaftsbezogene Plattformen wie nebenan.de sowie digitale Infotafeln und Webseiten sind verbreitet. Diese verschiedenen digitalen Tools haben jeweils Vor- und Nachteile im Quartierskontext. Über Instagram sind z. B. Jugendliche und junge Erwachsene am besten zu erreichen, während WhatsApp-Gruppen für fast alle Altersklassen ein gutes Kommunikationsmedium darstellen (wobei hier ein hoher Moderationsaufwand erforderlich ist). Mieter-Apps bieten große Vorteile für Wohnungsunternehmen und ermöglichen einfache, direkte Kommunikation mit den Mieter*innen, werden aber noch sehr selten genutzt. Die größten Herausforderungen in der Arbeit mit digitalen Tools sehen die Teilnehmenden im Bereich Datenschutz. Außerdem kann der direkte Austausch zwischen Menschen durch digitale Formate nicht ersetzt werden und bei anonymen Medien ist die Hemmschwelle für Pöbeleien und diskriminierende Aussagen geringer. im Bereich Datenschutz. Außerdem kann der direkte Austausch zwischen Menschen durch digitale Formate nicht ersetzt werden und bei anonymen Medien ist die Hemmschwelle für Pöbeleien und diskriminierende Aussagen geringer.
Diese Veranstaltung findet im Rahmen des Projektes PartQ – Aufsuchende politische Bildung im Quartier statt.
Das Projekt wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.