Erkenntnisse aus 15 Monaten politischer Bildungsarbeit in sechs Quartieren
Fachaustausche AUFSUCHEND. POLITISCH. BILDEN.
Politische Partizipation, interkulturelle Dialoge und communityübergreifende Verständigung in benachteiligten Quartieren mit aufsuchender politischer Bildung zu stärken: Diese Ziele hat sich Minor mit dem Modellprojekt PartQ gesetzt.
In Zusammenarbeit mit lokalen Aktiven in sechs Modellquartieren bundesweit (Berlin Märkisches Viertel, Braunschweig Weststadt, Duisburg Neuenkamp, Halle Silberhöhe, Ingolstadt Piusviertel und Rostock Toitenwinkel) wurden zwischen Juli 2021 und September 2022 Ansätze der aufsuchenden politischen Bildung entwickelt und erprobt sowie von dem PartQ-Projektteam begleitet und evaluiert. In elf Praxisprojekten wurden mit unterschiedlichen Methoden und Formaten wertvolle Erfahrungen gesammelt.
Gemeinsam mit den lokalen Beteiligten sowie mit einem Fachpublikum aus den Bereichen der politischen Bildung, der Gemeinwesenarbeit, der Stadtentwicklung und der Wohnungswirtschaft, werden im Rahmen von zwei Fachaustauschen die Erkenntnisse aus diesen 15 Monaten politischer Bildungsarbeit aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und diskutiert.
So werden mögliche Synergien und Allianzen zwischen den beteiligten Akteur:innen im Quartier erörtert. Im Quartier hat politische Bildung die Aufgabe, eine Brücke zur Stadtverwaltung zu bauen, indem die Dienstleistungsfunktion der Verwaltung sowohl bei der Bewohnerschaft verdeutlicht als auch an die Verwaltung selbst herangetragen wird. Eine enge Zusammenarbeit mit der Gemeinwesenarbeit (bspw. in Tandems) ist auch gewinnbringend, denn die politische Bildung kann ihren Wertekompass und ein Methodenrepertoire einbringen, um demokratische Kultur erlebbar zu machen. Allen Akteur:innen, insbesondere den Wohnungsunternehmen, obliegt es, für diese Prozesse Räume und Möglichkeiten zu schaffen.
Die Ergebnisse aus der Evaluierung der Projekte und aus den Fachaustauschen sollen sowohl für die Praxisarbeit in diversen Bereichen nutzbar gemacht werden als auch zur Weiterentwicklung des Konzepts der aufsuchenden politischen Bildung beitragen. Sie werden in einer zweiten Runde von Praxisprojekten in weiteren Modellquartieren zum Einsatz kommen.
In diesem Zusammenhang werden von den diversen Teilnehmenden Empfehlungen formuliert. Um lokale Akteur:innen besser in der Entwicklung und Umsetzung von Angeboten zu unterstützen, ist es notwendig, eine klare Zielsetzung festzulegen und die Grundlagen der politischen Bildung besser zu vermitteln. Gleichzeitig ist es wichtig, in dem Möglichkeitsrahmen der aufsuchenden politischen Bildung möglichst offen zu bleiben, um teilnehmenden- und prozessorientiert arbeiten zu können.
Aus Sicht der vertretenen Akteur:innen ergeben sich auch für ihre beruflichen Felder unterschiedliche Aufgaben. So soll die Gemeinwesenarbeit mehr Partizipation in ihre bestehenden Formate einbauen und ihre Angebote öffnen. Auf der Seite der Stadtverwaltung liegt die Hauptherausforderung darin, Beteiligungsverfahren als demokratische Teilhabemöglichkeiten anzuerkennen und zu nutzen. Für die Wohnungswirtschaft soll das Ziel sein, sich für die Realitäten und Bedarfe ihrer Mieterschaft zu sensibilisieren und mehr Partizipation anzustreben.
Termine:
20.10.2022
Apostel-Petrus-Gemeindezentrum
Wilhelmsruher Damm 161, 13439 Berlin
17.11.2022
Gesundheitszentrum Silberhöhe
Wilhelm-von-Klewitz-Straße 11, 06132 Halle (Saale)
Kontakt:
Maëlle Dubois
m.dubois@minor-wissenschaft.de
Programm:
In Arbeitsgruppen werden verschiedene Aspekte der aufsuchenden politischen Bildung in den Blick genommen. Ziel ist es, Potenziale, Erfolgsfaktoren sowie Hürden und Grenzen des Ansatzes zu identifizieren. Anhand von Praxisbeispielen aus den Quartieren werden Erkenntnisse aus der Evaluierung rund um mehrere Themen diskutiert.
AUFSUCHEND. Teilnehmendenorientierte Angebote
Damit sich Bewohner:innen in politische Prozesse einbringen, müssen sie zum einen erreicht und zum anderen mit ihren Bedarfen und Interessen abgeholt werden. Sowohl die Ansprache als auch die Durchführung von Angeboten der politischen Bildung im Quartier muss teilnehmendenorientiert, d. h. auch lebenswelt- und bedarfsorientiert erfolgen. Dazu gehört an erster Stelle eine fragende, anerkennende Haltung. Anstatt sich in Menschen hineinzudenken, sollte sich darauf konzentriert werden, was sie für Themen, Interessen, Erfahrungen und Wissen mitbringen, um entsprechend dort anzusetzen. Darüber hinaus sollen Prozesse partizipativ gestaltet sowie regelmäßig reflektiert und angepasst werden. So können Angebote allmählich besser auf die Teilnehmenden zugeschnitten werden.
AUFSUCHEND. Komm- und Gehstrukturen im Quartier
Die weit verbreiteten Kommstrukturen in der Quartiersarbeit und in der politischen Bildung durch Gehstrukturen zu ergänzen ist essenziell, um Menschen im Quartier zu erreichen und unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen für demokratische Prozesse zu gewinnen. Hierzu gehören die aufsuchende, bestenfalls kontinuierliche und hartnäckige Ansprache im öffentlichen Raum und in digitalen Netzwerken, eine gute Vernetzung und Verweisberatung im Quartier und die Durchführung von sichtbaren und öffentlichkeitswirksamen Angeboten „vor der Haustür“. Herausforderungen hierbei sind der hohe Aufwand von aufsuchenden Angeboten sowie das Erfordernis, persönliche Grenzen und Widersprüche zu den Rahmenbedingungen von Arbeitskontexten zu überwinden.
POLITISCH. Alltagsthemen politisch wahrnehmen
Um die politische Dimension von Alltagsthemen hervorzuheben, muss eingangs an einem breiten Politikverständnis gearbeitet werden, dass über die institutionelle Ebene hinaus geht, sodass sich Bewohner:innen als politische Akteur:innen wahrnehmen. Die Themen, die den Alltag betreffen, sollen als Bildungsanlässe wahrgenommen werden, auch wenn sie möglicherweise Konfliktpotenziale darstellen: Diese sollen nicht übergangen, sondern bearbeitet werden, denn Aushandlungsprozesse sind selten reibungsfrei. Aufgabe der politischen Bildung in diesem Kontext ist, Willensbildungsprozesse zu begleiten, Probleme aktiv zu benennen und zu thematisieren, Interessen wahrzunehmen, Expertisen zu verbinden sowie Wege und Mittel zur Partizipation aufzuzeigen.
POLITISCH. Brückenbildung zum politischen Feld
Das politische Feld – das häufig als „die Politik“ bezeichnet wird – ist ein Auswärtsspiel für viele Quartiersbewohner:innen. Um es zum Heimspiel zu machen, soll die politische Bildung eine Vermittlungs- und Übersetzungsfunktion übernehmen. Ansatzpunkte können bspw. Medienbildung, Kommunikationstrainings oder das Durchspielen von Partizipationsprozessen sein. Dafür braucht es oft einen Anlass oder Aufhänger. Auch sind Transparenz, klare Möglichkeitsrahmen und Zuständigkeiten sowie Verbindlichkeit von der Seite „der Politik“ gefordert. Langfristig sollen niedrigschwellige Strukturen im Quartier geschaffen werden, die politische Akteur:innen in die Pflicht zur Kommunikation und Rückkopplung der politischen Prozesse mit der Bewohnerschaft nehmen.
BILDEN. (In)formelle politische Bildung
Klassische politische Bildungsangebote werden im Quartierskontext schlecht angenommen. Podiumsdiskussionen oder Vorträge haben wenig Aussicht auf Erfolg. Im informellen Kontext hingegen entstehen politische Gespräche oft von alleine. Dabei ist es allerdings schwierig, Lernziele zu verfolgen und Methoden der politischen Bildung lassen sich nur mühsam einsetzen. Durch eine Prozessbegleitung können informelle Gespräche moderiert und Themen aufgenommen werden, um informelles Lernen zu ermöglichen, das in weiterführende strukturierte Bildungsangebote überführt werden kann. So können aktuelle lokale Bedarfe identifiziert werden, die anschließend strukturiert angegangen werden können.
BILDEN. Über den Schatten springen
Inklusive politische Bildung bedeutet unter anderem, sich mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, Konflikte anzusprechen, Emotionen zuzulassen und mit problematischen Einstellungen konfrontiert zu sein. Über den Schatten springen heißt hier, selbstkritisch zu sein und Konzepte zu überdenken, wenn sie von den Quartiersbewohner:innen nicht angenommen werden. Zusätzlich ist Geduld und Ergebnisoffenheit gefragt, ohne die Ziele aus den Augen zu verlieren. Besonders bei Aktivitäten mit regelmäßig Teilnehmenden sind Konfliktfähigkeit und ein kluger Umgang mit problematischen Einstellungen gefragt, damit Konfliktlinien nicht vermieden, sondern verfolgt werden. Das erfordert kommunikative Fähigkeiten und Leitungskompetenzen.
Zu den Zwischenerkenntnissen des Projekts
03/2023
AUFSUCHEND. POLITISCH. BILDEN.
Praxiserfahrungen im Quartier
Diese Veranstaltungen finden im Rahmen des Projektes PartQ – Aufsuchende politische Bildung im Quartier statt.
Das Projekt wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.