Unser Haus! – Unser Viertel! – Unsere Nachbarschaft!

Eine partizipative Fassadengestaltung im Donauviertel

Eine Hausfassade wird im Austausch zwischen Bewohner:innen des Häuserblocks, dem Projektteam und einem Künstler partizipativ gestaltet. In einer hausweiten Wahl entscheiden die Bewohner:innen, welches Motiv auf die Fassade kommt.

Projektidee und Ziele

Im Projekt „Unser Haus! Unser Viertel! Unsere Nachbarschaft!“ soll die Fassade eines Häuserblocks partizipativ gestaltet werden. Dafür werden die Bewohner:innen des Wohnblocks mittels einer aktivierenden Befragung aufsuchend angesprochen und zu einem Hausfest eingeladen. Dort kommen sie miteinander und mit einem Künstler ins Gespräch und tauschen sich darüber aus, welche Symbole sie mit dem Leben in der Weststadt verbinden und was sie auf der Fassade repräsentieren möchten. In darauffolgenden Werkstattgesprächen soll die Aushandlung darüber vertieft werden, auf deren Basis der Künstler Entwürfe entwickelt, die abschließend in einer hausweiten Wahl zur Abstimmung gegeben werden.

So sollen Bewohner:innen sich über ihre Vorstellungen und Perspektiven austauschen, Nachbarschaft positiv erleben sowie durch eine formelle demokratische Wahl eine Selbstwirksamkeit erfahren. Niedrigschwellig gelebte Demokratie – ganz einfach, oder?

Projektumsetzung

Erster Schritt im Projekt ist der Kontaktaufbau zu den Bewohner:innen des ausgewählten Wohnhauses. Mit Aushängen im Haus wird eine Befragung an der Haustür angekündigt, die kurze Zeit später von Sozialarbeiterinnen durchgeführt wird. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: von starker Ablehnung bis hin zu Interesse und positiven Reaktionen hinsichtlich der Fassadengestaltung (z.B. „Macht was Ihr wollt, Hauptsache sauber“ oder „Ja, das höre ich mir auf jeden Fall an“). In mehreren Durchgängen werden strukturiert alle Haushalte, auch in verschiedenen Sprachen, kontaktiert und zu einem Hausfest eingeladen. Trotz persönlicher Einladung wird das Hausfest nicht gut besucht. Das Projektteam bleibt hartnäckig und führt die aktivierende Befragung nun weniger formell weiter. Der Künstler und ein Bewohner des Hauses sprechen Bewohner:innen direkt an und es gelingt auf diesem Weg Interesse zu wecken, viele Ideen und Wünsche für die Gestaltung zu sammeln (am häufigsten wurden Natur, bunte Farben und Tiere genannt). Einige Bewohner:innen finden in einer Werkstatt zusammen, in der sie gemeinsam entscheiden, wie die Wahl über die Fassadengestaltung umgesetzt werden soll.

Der Künstler erarbeitet auf Basis der Vorschläge der Bewohner:innen mehrere Entwürfe, von denen nach Abstimmung mit der kooperierenden Wohnungsgenossenschaft zwei zur Abstimmung gegeben werden. Die Stimmzettel werden in alle Briefkästen verteilt. Bei der Wahl fungieren vier Briefkästen von engagierten Bewohner:innen als Wahlurnen für ihren jeweiligen Aufgang. Schließlich beteiligen sich 75 Prozent der Haushalte an der Wahl und es gibt einen eindeutigen Sieger: den Eisvogel, den der Künstler in den nachfolgenden Wochen auf die Hauswand bringt. Das fertige Bild erregt viel Aufmerksamkeit und erfährt in persönlichen Gesprächen als auch über soziale Medien überwältigende positive Reaktionen. Auch in Zeitungen wird darüber berichtet.

Im Anschluss an die Wahl wird eine zweite Werkstatt durchgeführt, bei der die Beteiligten offen über Themen, die sie beschäftigen, diskutieren und das Ergebnis der Wahl auswerten. Dabei kommen auch kritische Themen zur Sprache, z.B. die Angst, dass mit der Aufwertung durch die Fassadengestaltung eine Mieterhöhung folgt. Der Prozess wurde von einem Dokumentarfilmer in einem Film festgehalten. Dieser ist aufrufbar über den QR-Code am Rand (evtl. auch Pfeil o.Ä.). Auf einer Abschlussveranstaltung wird das Projekt unter Beteiligung von Bezirksräten vorgestellt. Zudem findet eine Open-Air-Filmvorführung direkt neben dem Haus statt.

Erkenntnisse für die politische Bildung

Bei der aufsuchenden Ansprache hartnäckig zu bleiben, ist im Projekt zentral dafür, dass die Menschen gemerkt haben, dass das Interesse an ihrer Meinung besteht und sie mit dem Prozess etwas mitentscheiden können. So öffnen sich die Menschen nach mehrfacher Ansprache und die teils wahrnehmbare tief verankerte Frustration kann ein Stück weit aufgebrochen werden. Eine Stärkung des Vertrauens kann zudem dadurch erreicht werden, dass ein Bewohner in die Befragung involviert ist. Das Interesse steigert sich auch durch die Möglichkeit zum direkten Austausch mit einem Künstler. Es kann identifiziert werden, dass eine lockerere Ansprache (z.B. ohne Klemmbrett und feste vorbereitete Fragen) zumeist angenehmer für die Befragten ist. Bereits existierende Entwürfe als Gesprächsbasis zu nutzen, funktioniert ebenfalls sehr gut.

Das Projekt folgt einem engen Zeitrahmen und fokussiert mit der Fassadengestaltung ein konkretes Ergebnis. Da einige Schritte länger dauern als geplant (insbesondere die Aktivierung), kann die Besprechung der Motive durch die Bewohner:innen nicht im geplanten Umfang stattfinden. Aus Sicht der politischen Bildung ist gerade das aber ein zentraler Aspekt der Meinungsbildung und demokratischen Aushandlung, der im Projekt im Verhältnis zum Ergebnis geringer priorisiert wurde. Hier ist eine Prozessorientierung und Ergebnisoffenheit vonnöten, um zu garantieren, dass das Projekt demokratisch und im Sinne der Bewohner:innen durchgeführt wird.

Im Projekt gelingt es durch die Sammlung von Wünschen und Ideen sowie vor allem durch die umgesetzte Wahl im Wohnhaus, Demokratie aufsuchend zugänglich und erlebbar zu machen. Die in der Organisation der Wahl beteiligten Bewohner:innen übernahmen eine zentrale Rolle und konnten so direkt ein demokratisches Abstimmungsverfahren gestalten. Die hohe Beteiligung an der Wahl weist letztlich auf eine positive Wahrnehmung des Prozesses hin. Zu berücksichtigen ist auch, dass es um eine klare Entscheidung der Bewohner:innen ging. Mit der Beteiligung an der Wahl konnte Selbstwirksamkeit erlebt werden: „Wenn ich wähle, entscheide ich mit, wie die Fassade in Zukunft aussehen soll!” Ein Defizit des demokratischen Prozesses war, dass im Vorfeld der Wahl eine Auswahl der Entwürfe durch das Projektteam in Abstimmung mit der Wohnungsgenossenschaft stattfand. Diesbezüglich sollte die Projektleitung stets den demokratischen Prozess priorisieren.

Modellquartier:

Weststadt, Braunschweig

Projektträger:

Kulturpunkt West

Projektlaufzeit:

01.01.2022 – 30.09.2022

Werkstatt vor dem Wohnhaus
Abschlussveranstaltung mit Filmvorführung
Der Eisvogel – Ergebnis der partizipativen Fassadengestaltung

Die Praxisprojekte werden im Rahmen des Modellprojekts PartQ – Aufsuchende politische Bildung im Quartier umgesetzt.

PartQ wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.